Ausgabe Januar 2006

"Bitteres Brot"

„Was?“, fragte sie. „Ich soll eine Controlling-Abteilung neu konzipieren und auf ein anderes System umstellen? Das hatte ich doch alles schon einmal. Das ist „bitteres Brot“. Dafür wechsele ich nicht meinen Arbeitgeber.“ Mit dieser Begründung sagte eine angesprochene Kandidatin einen Wechsel auf eine weiterführende, ihre Karriere fördernde Position ab.

„Tempora mutantur et nos in illis“, wussten schon die alten Römer. Deutlich zeigt, dass die lahmende Konjunktur das Bewusstsein mancher Führungskräfte drastisch verändert hat. Vor der New-Economy-Zeit wollten die Führungskräfte Karriere machen, suchten nach etwas Neuem, nach Herausforderungen und wollten ihre Erfahrungen einbringen. Die Firmen mussten und wollten, diesem Trend folgend, kreative Aufgaben anbieten.

Die schwächelnde Konjunktur hat offensichtlich auch manchen Bewerber lahm gemacht. Es begann damit, dass die Wechselwilligkeit nachließ. Eine schwache Konjunktur erhöht die Risiken im Bewerbermarkt. Wird nämlich eine sichere Position zugunsten einer besseren verlassen und gelingt die Integration des Kandidaten nicht, steht dieser wieder auf der Straße. Bei guter Konjunktur findet er schnell eine neue Aufgabe wieder, bei schwacher Konjunktur nicht. Deshalb geht die Wechselwilligkeit zurück, sie mutiert sogar zur Sesshaftigkeit. Bei längerem Andauern dieses wirtschaftlichen Umfeldes gesellt sich zur Sesshaftigkeit auch die Gewohnheitsliebe. Man liebt die Gewohnheit, man scheut das Risiko, neue Aufgaben; business as usual ist bestenfalls angesagt.

Die Liebe zur Gewohnheit ist bei milder Beurteilung eine Anpassung an die Gegenwart. Bleibt die Konjunktur, wie sie ist, wird der Wettbewerb härter, und die Firmen müssen in eine Qualitätsoffensive gehen. Sie benötigen aktive, qualifizierte Mitarbeiter. Schwingt die Konjunktur dagegen auf, entstehen neue Herausforderungen. Sie müssen mit Persönlichkeiten besetzt werden, die das Neue aktiv wollen. Beide Prognosen gefährden die Positionen der die Gewohnheit Liebenden. Sie werden auf der Strecke bleiben, und das ist erst recht „bitteres Brot“.